Richtig falsch
Spielwitz und nächstes Level brauchen Ermutigung. Statt Blaming Culture und Perfektionismus. Loser-Slams, Fuckup Nights, Fail Awards. Die Start-up-Szene macht‘s vor. Nicht alle kommen hinterher. Spitzfindige Video-Referees beim Profi-Kick etwa. Oder auch streng orthodoxe Cineasten. Das findet der Hamburger Filmeditor Niko Brinkmann und engagiert sich für mehr Neugier und Drive – und gegen Nulltoleranz, Shitstorm, Stigmatisierung. Try and fail, but don't fail to try. Ein Essay.
Jahrelang hatte man sich als bekennender Star-Wars-Fan auf „Episode 1 – The Phantom Menace“ gefreut, wie ein Dortmund-Fan aufs Champions-League-Finale. Dann ist es endlich so weit. Man sitzt im vollbesetzten Kino. Der Vorhang geht auf. Die Musik von John Williams schmettert los. Gänsehaut rollt wie eine La-Ola-Welle über den ganzen Körper. Gebannt starrt man auf die Leinwand – und dann wechselt Cheftrainer und Clubinhaber George Lucas in der 11. Minute plötzlich den drolligen, tollpatschigen Newcomer Jar Jar Binks ein, der fortan wie ein Betrunkener Disney-Character lallend durch den Film torkelt, bis auch dem letzten Zuschauer im Ultra-Block (meistens hinten links im Kinosaal) das Lichtschwert in der Tasche aufgegangen ist.
Als Editor erlebe ich diesen Moment mit gemischten Gefühlen. Ein Teil von mir hat Verständnis für die pöbelnden Gangs, die bereits vereinzelt Popcorn-Eimer Richtung Leinwand schleudern. Eine Disney-Figur im Star-Wars-Universum ist für Hardcore-Fans etwa so provozierend wie eine Country-Schnulze auf einem Megadeath-Album. Der andere Teil von mir erinnert sich an all die Projekte, bei denen ich selber radikale und unerwartete Entscheidungen für einen Film getroffen habe, und dadurch in Konflikt mit Regisseuren, Schauspielern, Kameraleuten oder anderen Teammitgliedern geraten bin. Man kann es halt nie allen recht machen. Weder im Fußballstadion, noch im Kinosaal. Sobald die neunzig Minuten Spielzeit rum sind, schlägt bei beiden die Stunde der „Experten“. In Talkshows und Internet-Foren sezieren Ex-Nationalspieler, Filmschauspieler, B-Promis und totale Nobodys genüsslich Szene für Szene. Einzelne Passagen werden immer wieder in Zeitlupe vorwärts und rückwärts abgespielt, bis das vernichtende Urteil per Videobeweis gefällt werden kann: „Ganz klarer Stellungsfehler vom Verteidiger“, oder „krasser Anschlussfehler in Minute 17 und 43 Sekunden“.
Filme und Fußballspiele sind, was das angeht, gleichermaßen „slow moving targets“. Deshalb finde ich die nachträglich im Konjunktiv geführten Diskussionen über handwerkliche Fehler, verpasste Chancen und vertane Möglichkeiten vor allem eines: stinklangweilig. Einen Film zu machen erfordert Mut. Einen Elfmeter zu schießen auch. Mut hat in erster Linie Respekt verdient – unabhängig davon, ob das Ganze durch die Decke oder nur an den Pfosten geht. Apropos: In Anbetracht eines Einspielergebnis von über 1 Milliarde Dollar konnte George Lucas die Verärgerung von ein paar tausend Star-Wars-Jüngern sicherlich verschmerzen. Mehr gewurmt hat ihn vermutlich etwas anderes. Einige Zeit nach der Filmpremiere von „Episode 1 – The Phantom Menace“ kursierte im Internet eine etwa 20 Minuten kürzere Fassung unter dem Namen „The Phantom Edit“. In dieser waren ein Großteil der Szenen mit Jar Jar Binks rausgeschnitten worden. Obwohl ich die Aktion eigentlich ganz witzig fand, habe ich mir die Version nie angesehen. Aus Respekt vor George Lucas.