Ich denke, also sind wir
Mehr Ich macht das Leben freier. Und die Welt komplexer. Alles easy. Die Community hilft. Ein Essay von Heidelberg Congress.
Mal ehrlich, was ist eigentlich los? Die Kiddies flippen nicht bei jeder Kleinigkeit aus. Aber wegen der großen Klimakatastrophe. Sofa und Schlabberlook sind Business as usual. Büro, Dienstwagen und Vielfliegerkarte machen Feierabend. In Deutschland wird Bildung feminisiert, Arbeitslosigkeit zunehmend Männersache. Auf virtuellen Crypto-Art-Marktplätzen erzielen Pixel-Originale Millionenumsätze. Elektroschock: Mit Porsche kann man jetzt so richtig Strom geben. In Ghost Restaurants wird nie serviert und nur gekocht – für digitale Brands auf Food-Delivery-Plattformen. Touristen wollen keine Touristen sein. Und schwitzen lieber bei der Apfelernte im Havelland als am Strand auf Koh Samui. Living la Vida Local. Female Shift, Neo-Ökologie, New Work, Digitalisierung, Urbanisierung, neue Mobilität. Change boomt. So viel Trend war nie.
Fragwürdig
Der Superstar unter den Megatrends: Individualisierung. Also die Freiheit, selbst zu bestimmen. Was einem gefällt und wichtig ist. Wie man leben und arbeiten will. Wer frei wählt, muss auch selbst entscheiden. Bloß wie? Wie orientiere ich mich? Wenn alte Regeln und akzeptierte Wahrheiten verschwinden. Wie bin ich unverwechselbar und wirklich innovativ? Wenn neu normal ist. Welchen Wert haben Positionen? Wenn alles in Bewegung ist. Welche Folgen hat mein Handeln? Für die anderen. Freiheit ist schön. Und ganz schön kompliziert in unserer komplexen Welt. Oder wie es der Duden beschreibt: im „Ineinander vieler Merkmale“.
Die Unberechenbaren
Komplexität reduzieren. So ist gewöhnlich der Plan. In verlässlichen Gegensätzen denken. Schwarz oder weiß. Richtig oder falsch. Gut oder böse. Machbar oder nicht. Ordnung ist das ganze Leben. Nur leider meistert man mit Routine keine neuen Herausforderungen. Und Vereinfachung ist zu simpel gestrickt – für eine Gesellschaft, die Diversität feiert. Wo nicht alte weiße Männer ihre Privilegien verwalten, sondern vielfältige Talente eine bunte Welt gestalten. Voller innovativer Ideen und Ereignisse. Mit denen nun wirklich niemand rechnen kann.
Geht’s auch kompliziert?
Da haben wir aber Glück. Das Problem ist gleichzeitig die Lösung. Mit Komplexität was anfangen, nicht Komplexität abbauen. Das ist die Diversity-Devise. Lust auf Überraschungen haben, statt Unvorhersehbares zu vermeiden. Nicht das große Ganze überblicken wollen, besser die Zusammenhänge durchschauen. Und so in unserer komplexen Wirklichkeit ungeahnte Potenziale entdecken. Und völlig neue Alternativen. Agilität ist dafür ein Muss. Aber Agilität liefert nicht die Antworten auf unsere Fragen. Sie hilft uns, Antworten zu finden.
Denken müssen wir nach wie vor selbst.
Multiplayer-Modus
Zum Denken und Durchblicken brauchen wir Orte, an denen wir frei sind. Uns austauschen, ausprobieren, und interagieren können, rebellisch, naiv und kreativ sein dürfen. Allein verzetteln wir uns schnell. Im Dickicht der Vielfalt. Communitys sind dieser Kosmos. In dem sich Menschen treffen, die nicht gleich sind. Aber dasselbe wollen: Kontakt, Freundschaft, Anerkennung, Orientierung, Identität, Fun, Geschäfte machen. Wer bin ich und wer könnte ich sein? Wer hilft mir auf die Sprünge und wer konkret weiter? Die Community hat, was ihre Members suchen. Impulse, Ressourcen und Menschen, die sich zusammentun und in hybriden Ad-hoc-Beziehungen interagieren. Mal virtuell, mal in der realen Welt. Jederzeit nützlich.
Eigensinn, nicht Starrsinn
Einander helfen, kooperieren, kollaborieren, sich gegenseitig motivieren. In der Community geht was. Aber selbstbestimmt, ungebunden, flexibel, spontan, authentisch. Mach dein Ding! Das gemeinsame Motto, das alle auf ihre eigene Weise interpretieren. Eben wie Individualisten so ticken. Vernetzt in einer Struktur, die weder linear noch starr ist, kein Oben und Unten kennt, nicht nach Vereinheitlichung strebt. Wo in klassischen Organisationen Führungsebenen das Sagen haben und Autoritätspersonen schlaue Tipps und klare Anweisungen geben, erledigt das die Communitys einfach selbst. Auf Augenhöhe. Als egalitäre Austauschgemeinschaft. Und typisch: Partner bleiben in der Community meistens nicht lange unter sich, sondern vernetzen sich miteinander. Je heterogener der Mix und dynamischer das Teamwork, desto besser spielt die Community ihre Qualitäten aus.
Let’s all be part of the change
Hierarchiefrei, kontrastreich, energiegeladen. Offen für das Unbekannte und in permanenter Aufbruchstimmung. Communitys sind organische Forschungslabore und Ermöglichungsräume, die ständig neue Versuchsanordnungen und Werkzeuge liefern. Um kontinuierlich Entwicklungen zu reflektieren. Agil auf Veränderung zu reagieren. Zugang zu schaffen zu echter Innovation. Um Dinge zu machen, die vorher noch niemand gepackt hat. Wenn alles intuitiv im Flow ist, fließen auch die Ideen.
Alles vertraulich
Was die wilde Truppe zusammenhält? Etablierte Unternehmen und Organisationen schöpfen Identität aus ihrer Herkunft und Historie und einem Wertesystem, das sich daraus ableitet. Community passiert im Jetzt. Mit Blick auf morgen. Start-up-Mentalität. Da stiften Austausch, soziale Interaktion und kulturelle Codes Identität. Und eine gemeinsame Vision. Das bindet. Auch die eigenwilligsten Köpfe. Vor allem aber schafft es gegenseitiges Vertrauen. Gerade in größeren Gruppen die Basis, individuelle Freiheit und persönliche Eigenarten in Kooperationen und Kollaborationen ungehemmt auszuspielen. Realness statt Anpassung. Impact statt Abwehr. Orientierung statt Ordnung. Kreativität statt Kontrolle. Komplexität fühlt sich cool an. In der Community. So einfach ist das.
Schade eigentlich.